Krisen und Konflikte: Multiple Risiken für die Industrie

25.10.2024 – Vorausdenken, wo in einigen Jahren noch Versicherbarkeit bestehen oder wo sie verlorengehen könnte, geopolitische Instabilität einplanen, Alternativen auf dem Schirm haben, wenn Konflikte die Handelsströme beeinträchtigen, bessere Rahmenbedingungen für Captives schaffen, künstliche Intelligenz nutzen – das sind einige der Punkte, über die ein Experten-Podium beim vierten Greco-Risikotag gesprochen hat.

V.l.n.r.: Johannes Vogl (Greco Risk Engineering), Arnold Kammel (Verteidigungsministerium), Moderator Andreas Schmitt (Greco), Martina Auer-Klass (Porr Bau), Gert Wellhöfer (Ecclesia Reinsurance-Broker) und Hans Unterdorfer (Erste Bank) (Bild: Lampert)
V.l.n.r.: Johannes Vogl (Greco Risk Engineering), Arnold Kammel (Verteidigungsministerium), Moderator Andreas Schmitt (Greco), Martina Auer-Klass (Porr Bau), Gert Wellhöfer (Ecclesia Reinsurance-Broker) und Hans Unterdorfer (Erste Bank) (Bild: Lampert)

Der Banksektor sei stark von Regulierung getrieben, sagte Hans Unterdorfer Firmenkundenvorstand der Erste Bank Oesterreich, am Mittwoch in einer Podiumsrunde beim „4. Risikotag“ der Greco International AG in Wien.

Im Mittelpunkt der Diskussion standen die Auswirkungen eines Umfelds multipler Krisen auf die Risikolandschaft der Industrie.

Die europäische Bankenaufsichtsbehörde Eba räume dem Thema „ESG“ eine hohe Priorität ein – und das zu Recht, wie Unterdorfer meinte. Schließlich hätten Klimarisiken wesentliche Relevanz für Unternehmensrisiken.

So werde denn auch in der Kreditvergabe geprüft, wie sich Unternehmen in Bezug auf Klimarisiken aufgestellt haben. Darauf habe die Bank ein Auge ebenso wie der Regulator.

Versicherbarkeit im Klimawandel

Und im Versicherungsbereich? Droht im Hinblick auf Naturkatastrophen Unversicherbarkeit? Versicherbarkeit habe damit zu tun, wo die Risiken liegen, sagte dazu Gert Wellhöfer, Managing Director der in Köln ansässigen Ecclesia Reinsurance-Broker GmbH.

In Florida beispielsweise habe es vor rund 30 Jahren nur wenige direkt an der Küste gelegene Immobilien gegeben. Heute seien dort aber viel mehr Gebäude zu finden; das Exposure habe sich stark vergrößert.

Eine solche Entwicklung werfe freilich die Frage auf, wer da für geradezu vorhersehbare Schäden noch Versicherungsdeckung geben möchte. Für Versicherer komme es also auf ein genaues Risikomanagement an.

Vorausschauend Versicherbarkeit einkalkulieren

Ähnliches gelte, wenn man etwa plant, in Regionen Fabriken zu errichten, die infolge des Klimawandels Temperaturen ausgesetzt seien werden, die die Arbeitsbedingungen beeinträchtigen.

Deshalb müsse man prüfen, wo in drei, fünf, zehn Jahren möglicherweise keine Versicherbarkeit mehr gegeben ist oder nur noch zu sehr hohen Preisen und mit hohen Selbstbehalten.

Bessere Rahmenbedingungen für Captives

In Richtung Politik bekräftigte Wellhöfer auch die Forderungen nach besseren Rahmenbedingungen für die Einrichtung von Captives, also unternehmensinternen Versicherern.

Greco hatte erst vor kurzem vor dem Hintergrund von geopolitischen Spannungen, Naturkatastrophen und Cyberangriffen dafür plädiert, es zu erleichtern, solche Einheiten zu schaffen (VersicherungsJournal 10.10.2024).

In den USA seien Captives in vielen Bereichen bereits gang und gäbe, es gebe dort an die 7.000. In Malta wiederum gebe es schon länger kleine Captive-Lösungen. In Österreich sieht Wellhöfer 20 bis 30 potenzielle Kunden für Captive-Lösungen.

ESG im Versicherungsbereich

Zu der Frage, welche Rolle ESG im Underwriting spielt, verwies Johannes Vogl, Geschäftsführer der Greco Risk Engineering GmbH, auf eine im Sommer unter 16 nationalen und internationalen Versicherern durchgeführte Umfrage.

Ergebnisse daraus sollen demnächst vorgestellt werden, Vogl gab aber vorab einen kurzen Einblick. Demzufolge gewinnen parametrische Versicherungen an Aufmerksamkeit, ebenso Investitionen in erneuerbare Energien und die Fähigkeit eines Unternehmens zum Betrieb einer Kreislaufwirtschaft.

Mit Blick auf Natkat-Risiken würden immer mehr individuelle Deckungskonzepte gebraucht, auch Schutzmaßnahmen seien bedeutsam. Bei Schäden rücke der Fokus zunehmend hin zur Reparatur, in der Schadenbearbeitung werde stärker in KI-Modelle investiert.

Das vielseitige Hilfsmittel KI

Künstliche Intelligenz setze die Erste bereits ein, sagte Unterdorfer. Nicht nur im Hintergrund, sondern auch bereits „sichtbar“ im Einsatz sei sie beim „Financial Health Prototype“.

Es handelt sich dabei um einen seit 2023 zugänglichen Chatbot, der Nutzern bei Finanzthemen unter die Arme greifen soll (VersicherungsJournal 18.10.2023). KI werde ein relevanter Faktor in der Beratung werden, meint Unterdorfer.

Im Risikomanagement bringe KI eine Arbeitserleichterung, sagte Vogl. Sie sei ein wichtiges Hilfsmittel für die Aus- und Bewertung, er nannte Schadensimulation und -berechnung als Einsatzgebiete. Eine positive Auswirkung sei auch, dass Informationen bei der Ein- und Ausgabe systematisiert werden.

Wellhöfer merkte an, Underwriting und Schadenbearbeitung würden mehr und mehr auf KI zurückgreifen. Sie sei für „Predictive Analytics“ (Prognosen) und für die Analyse von Wordings nützlich.

Konfliktbeladene geopolitische Lage

In einer offenen und vernetzten Wirtschaft sind Unternehmen auch Risiken ausgesetzt, die sich aus größeren, überregionalen Zusammenhängen ergeben. Arnold Kammel, Generalsekretär im Bundesministerium für Landesverteidigung, skizzierte die geopolitische Risikolage.

Und die ist, nicht ganz unerwartet, wenig freudvoll: „Der geopolitische Ausblick ist wahrscheinlich noch trüber als der Himmel“, sagte Kammel mit einem Blick auf die Wolken über Wien. Die Welt werde immer unsicherer, es gebe mehr Konflikte.

Einige Konfliktherde liegen in unmittelbarer Nähe der EU, von der Ukraine über Moldau und Georgien, den Nahen Osten, Nordafrika, wo sich der Arabische Frühling „in Luft aufgelöst“ habe, bis zur Sahelzone und zum Horn von Afrika. Nicht zu vergessen die Spannungen im Fernen Osten, Stichwort China und Taiwan – und der Druck, den China auf Europa ausübt.

Im Zusammenhang mit der Globalisierung oft übersehen würden die durch sie geschaffenen Abhängigkeiten. Das betreffe insbesondere den Umstand, dass – und ob – Seehandelsrouten im südostasiatischen Raum verlässlich zur Verfügung stehen.

„The west against the rest“

Insgesamt spitze sich die globale geopolitische Lage zunehmend auf ein „The west against the rest“ zu, sichtbar auch an der Formierung – und möglichen weiteren Expansion – des „BRICS“-Blocks.

Hinzu komme, dass der Klimawandel zur Ausdehnung der Sahara und dies wiederum zu Migrationsströmen führen könne. Die Erderwärmung könne mittelfristig auch die Nordostpassage, einen Seeweg durch das Nordpolarmeer zum Pazifik, schiffbar machen; es stelle sich die Frage, wie präsent Europa dort ist. Ein weiterer geopolitischer Faktor: künstliche Intelligenz.

Was können Unternehmen tun? Kammel rät zu zweierlei. Erstens: sich mental auf die Volatilität des internationalen Systems einstellen. Zweitens: mit Blick auf Absatzmärkte Risiken und mögliche Alternativen identifizieren.

Die eigenen europäischen Interessen wahrnehmen

Europa selbst müsse sich darauf besinnen, dass die Welt – bei aller Wertebasiertheit der Außenpolitik – „von Interessen geprägt“ ist.

Der seinerzeitige Ausspruch des deutschen Verteidigungsministers Peter Struck, Deutschlands Sicherheit werde „auch am Hindukusch verteidigt“, habe viel Kritik geerntet. „Aber das ist die Realität.“

Die geopolitische Lage, so Kammel, werde uns dazu zwingen, interessengesteuert zu handeln.

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Altersvorsorge · Darlehen · Immobilie · Marktforschung · Unwetter
 
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