10.12.2024 – Entscheidend dafür, ob ein auf dem Arbeitsweg verwendetes Fahrzeug dem von der Unfallversicherung geschützten Bereich zuzurechnen ist, sei die Frage, ob es sich um ein allgemein übliches Verkehrsmittel handelt, das sicheres Fahren gewährleistet, so der OGH. Auch wenn E-Scooter „inzwischen öfters anzutreffen sind“, würden sie kein sicheres Fahren garantieren. Die Klage des E-Scooter-Fahrers wurde abgewiesen.
Ein Dienstnehmer verunglückte im Februar 2023 auf dem Weg zu seinem Arbeitsplatz mit einem E-Scooter. Um seine Geschwindigkeit von rund 22 auf 20 km/h zu reduzierten, hatte er den Bremshebel betätigt; dabei kam es zu einer leichten Verlagerung der Fahrlinie.
Dies führte in Verbindung mit der feuchten Fahrbahn dazu, dass das Vorderrad wegrutschte. Der Scooter-Fahrer stürzte und verletzte sich. Von der Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, Eisenbahnen und Bergbau fordert er eine Versehrtenrente im gesetzlichen Ausmaß.
Der Scooter verfügt über einen 350 Watt starken Elektromotor, der eine maximale Fahrtgeschwindigkeit von 25 km/h ermöglicht. Die Räder haben einen Durchmesser von 21 mm. Verglichen mit einem üblichen Fahrrad ist die Stabilität weniger stark ausgeprägt.
Die Versicherungsanstalt lehnte eine Leistung mit Bescheid ab; bei dem Unfall handle es sich nicht um einen Dienstunfall. Der E-Scooter sei kein Fahrzeug im Sinn der StVO, sondern ein fahrzeugähnliches Spiel- oder Sportgerät.
Der Unfall sei auf ein mit der Verwendung eines E-Scooters verbundenes typisches Risiko zurückzuführen, da die relativ hohe Fahrgeschwindigkeit, schlechte Schwerpunktlage und relativ kleine Räder eine instabile Fahrsituation bewirken würden.
Dagegen legte der Scooter-Fahrer Klage ein. Er argumentierte, der Unfall sei auf die allgemeine Weggefahr und nicht auf eine vom Scooter ausgehende spezifische Gefahr zurückzuführen.
Auch sei ein E-Scooter für die Zurücklegung eines Arbeitsweges üblich und ein zulässiges, einem Fahrrad gleichgestelltes Fortbewegungsmittel. Viele Dienstnehmer würden täglich mit E-Scootern zur Arbeit fahren, womit es sich nicht um bloße Spiel- oder Sportgeräte für Freizeitzwecke handle.
Erst- und Berufungsgericht wiesen die Klage ab. Zwar stehe einem Dienstnehmer die Wahl des Verkehrsmittels auf Arbeitswegen grundsätzlich frei, es sei aber zwischen allgemein üblichen Verkehrsmitteln und Spiel- und Sportgeräten zu unterscheiden.
Für die Frage, ob die Freiheit der Wahl des Fortbewegungsmittels auch E-Scooter erfasse, biete die StVO Anhaltspunkte, wonach E-Scooter Trendsportgeräte seien, weil ihre Benützung ein besonderes Maß an Geschicklichkeit erfordere.
Es habe sich daher im vorliegenden Fall die aus der Verwendung eines E-Scooters resultierende Gefahr und nicht die allgemeine Weggefahr verwirklicht, so die Vorinstanzen. Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts legte der Scooter-Fahrer Revision beim Obersten Gerichtshof ein.
In seiner rechtlichen Beurteilung betont der OGH, dass dem Versicherten auf Arbeitswegen die Wahl des Verkehrsmittels bzw. die Art der Fortbewegung zwar grundsätzlich freistehe.
Allerdings handle es sich bei Wegunfällen um eine rechtlich nicht zwingend gebotene, aus sozialpolitischen Überlegungen vorgenommene Erweiterung des Versicherungsschutzes, obwohl dieser Bereich dem Einfluss des Dienstgebers weitgehend entzogen ist.
Aus diesem Grund seien nur die typischen, allgemeinen Weggefahren und Risiken versichert, nicht jedoch alle mit dem Weg in irgendeinem Zusammenhang stehenden anderen Ereignisse und Gefahren.
Bei der Frage, ob ein bestimmtes Sport- oder Spielgerät von der Freiheit der Wahl des Fortbewegungsmittels erfasst ist, gehe es um eine Wertentscheidung, in die nicht nur das Verhalten des Versicherten, sondern alle Gesichtspunkte und Überlegungen einzubeziehen sind.
Ob ein E-Scooter, wie er vom Kläger verwendet wurde, ein Fahrzeug im Sinne der Straßenverkehrsordnung ist, sei nur für die Frage relevant, welchen verkehrs- und kraftfahrrechtlichen Vorschriften das Fahren und der Betrieb von E-Scootern unterliegen.
Aus der Verwendung eines Fahrzeugs im Sinn der StVO ergebe sich aber nicht zwangsläufig die Zuordnung zum von der Unfallversicherung geschützten Bereich. Wesentlich sei vielmehr, ob es sich um ein allgemein übliches Verkehrsmittel handelt, das sicheres Fahren gewährleistet.
Aus den Materialien zur 31. StVO-Novelle ergebe sich, dass der Gesetzgeber elektrisch betriebene Scooter als „Trendsportgeräte“ eingestuft habe, deren Benutzung eine besondere Geschicklichkeit erfordert und die aufgrund ihrer technischen Eigenschaften kein sicheres Fahren gewährleisten.
Auch wenn E-Scooter in erster Linie im innerstädtischen (Nah-)Verkehr inzwischen öfters anzutreffen sind, ändere dies nichts daran, dass sie der Gesetzgeber weder als allgemein übliches noch als sicher handhabbares Verkehrsmittel ansieht, so der OGH.
Es stehe fest, dass bei der Verwendung eines E-Scooters wegen seiner spezifischen Eigenschaften bzw. Bauart ein sicheres Fahren nicht garantiert ist. Gerade die daraus resultierende besondere Gefahr und keine allgemeine Weggefahr habe zum Unfall des Klägers geführt.
Die Ansicht der Vorinstanzen, es habe sich im vorliegenden Fall keine typische Gefahr eines Dienst- bzw. Arbeitsweges verwirklicht, die unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stehen soll, entspreche der Rechtslage, so der OGH.
Die Revision erwies sich mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage damit als unzulässig.
Die OGH-Entscheidung 10ObS55/24x vom 8. Oktober 2024 ist im Rechtsinformationssystem des Bundes im vollen Wortlaut abrufbar.
Marion Wais - Vermutlich Versicherungsdefizite. mehr ...
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